Der Schein trügt. Wir befinden uns nicht im Bella ltalia der Nachkriegszeit, sondern im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg, im Jahr 2012. Noch vor gar nicht allzu langer Zeit befand sich in diesen Räumlichkeiten eine DDR-Gaststätte, mit Fotos von Stars und Sternchen an den Wänden oder Stadtansichten eines schwarz-weißen Ost-Berlins. Heute hängen und stehen hier Bilder, bearbeitete Fotografien, Plastiken, Stahl- und Holzgebilde- alles „lebendige“ Bewohner des Dörner’schen Reichs. Auf den ersten Blick ziehen einen diese Werke in ihren Bann, ohne ihre Botschaften, ihren Inhalt und ihre Aussage sofort preiszugeben.
Wie Dörners Werkstatt den Besucher zunächst angenehm irreleitet, wiegt auch Dörners Kunst den Betrachter anfänglich in Sicherheit. Etwas Angenehmes, beinahe Heiteres geht von ihr aus, es gibt Werke, die den Betrachter regelrecht glücklich stimmen. Doch auf den zweiten Blick entsteht eine zunehmende Unruhe, man ahnt, dass dieses harmlos wirkende Bild, das man gerade anschaut, eine zweite Ebene besitzt, die nach und nach Tiefe entwickelt und sich festbohrt im Auge des Betrachters. Da werden gelbe, grüne und rote Farben, die von oben nach unten über die Leinwand zu fließen scheinen, nach genauerer Betrachtung plötzlich zum Schleier vor einem grünlich schimmernden Abgrund, der den Betrachter direkt in eine unergründliche Tiefe führt, in einen feindseligen Dschungel oder einen undurchdringbaren Regenwald. Dörner geht es um mehr, um den Blick hinter die Dinge, auf eine brüchige, drohende Natur beispielsweise, die sich dem Betrachter nicht sofort als solche zu erkennen gibt. Dass es sich bei dem beschriebenen Bild um eine Naturansicht handelt und nicht nur um ein bloßes Spiel mit auf der Leinwand entlanglaufenden Farben, mag man auch an den beiden chlorophyllgrünen Streifen am rechten und linken Rand des Bildes ablesen.
Natur und Zeitgeschichte, öfter auch eine Verbindung hiervon, sind wiederkehrende Elemente in Dörners Werk: Am 6. oder 7. Dezember 1801 bricht der Hauslehrer und Schriftsteller Johann Christian Friedrich Hölderlin von Nürtingen nach Bordeaux auf, getrieben von „Herzens- und die Nahrungsnot“, wie er schreibt. ln Frankreich, so hofft er, würde er sich endlich die Existenz aufbauen können, die ihm zu Hause versagt geblieben war. Die Winterreise sollte zum Wendepunkt in seinem Leben und Schreiben werden . Und tatsächlich, das Vorhaben lässt sich gut an . Er wird freundlich empfangen und wohnt „fast zu herrlich“. Aber schon nach wenigen Wochen lässt er sich wieder einen Pass ausstellen und kehrt nach Hause zurück. Seine Freunde in Stuttgart erkennen ihn jedoch kaum wieder. Sein Zustand ist trostlos, er ist vollkommen erschöpft und erregt zugleich, „leichenblass, abgemagert, von hohlem, wildem Auge, langem Haar und Bart und gekleidet wie ein Bettler“, wie ein Freund berichtet. Was war geschehen? Das bis heute nicht geklärte Mysterium „Hölderlins Reise“ nimmt Dörner zum Anlass, eines seiner verstörend-schönen Bilder zu entwerfen: eine zweigeteilte Arbeit, die in der oberen Hälfte in freundlichem Grün und Gelb Anfang und Ende der Reise verortet und im unteren Teil das, was Hölderlin widerfuhr, was er erlebte, was ihn letztendlich verstörte: Chaos, Verwirrung, Verzweiflung- in Schwarz und Gelb. Und plötzlich ist das Gelb vom oberen Teil des Bildes nicht mehr freundlich, sondern zutiefst befremdlich, ja angsteinflößend. Im Gegensatz zu einer tief verwirrenden Arbeit wie dieser gelingt Dörner das andere Extrem gleichermaßen mit Leichtigkeit, nämlich Werke zu erschaffen, die man als stimmungshebend, ja froh machend bezeichnen könnte. in einer Doppelarbeit beispielsweise tanzen Farben und Formen unbeschwert nach einer geheimen Choreografie, man meint sogar, eine entfernte Melodie zu vernehmen -und lehnt sich beim Betrachten beinahe wohlig ins Bild hinein. Was ist es, was Dörners Werk besonders macht? Wodurch gelingt es ihm, die Emotionen des Betrachters scheinbar unaufwendig in die eine oder die andere Richtung fließen zu lassen? Dörner fühlt sich keiner Malschule verpflichtet. Er malt, was ihn beschäftigt und was ihm sein Bauch vorgibt. Seine Themen findet er in sich und um sich herum. Oder eben in der Natur.
Aufgewachsen in Wiesbaden, den Rhein vor Augen, wurde ihm irgendwann im Laufe seiner Karriere bewusst, wie sehr er geprägt ist von einem Fluss, der anderswo Gevatter genannt wird, der groß und mächtig und unbeirrbar vor sich hinfließt. Dörner malte ihn, nein, er deutete ihn in einem seiner Werke an, als feine Linie, mit wiederkehrenden Unterbrechungen, ein dahingehauchter Strich in der Landschaft, nur für Insider dechiffrierbar. Der Rhein, als Analogie zu Dörners eigenem Bezug zur Natur, zum Strom der Zeit, dem natürlichen Lauf der Dinge, nur angedeutet, dennoch klar vorhanden. Doch ist das wirklich so? Den oben beschriebenen Tanz der Farben und Formen kann man auch anders lesen, denn eine wiederkehrende Konstante findet sich bei Dörner nur in der Ambiguität der Dinge. So ist obige Bewegung vielleicht ein letzter Tanz auf dem Vulkan, bevor die Weit krachen geht? Sieht man nämlich genauer hin, findet man auch hier Zeichen der drohenden Apokalypse in Gestalt von schwarzen Wolken, nach unten weisenden Pfeilen, gebrochenen Formen. Dörner steht nicht still. Neue Materialien, mit deren Hilfe er seine Botschaften vermitteln kann – und weitere Künste für sich zu entdecken- halten ihn und sein Werk frisch, ja wirken bisweilen spitzbübisch und verschmitzt. Er arbeitet mit Holz, mit Stahl, mit Papier und „objets trouves“ und bemalt immer mal wieder sogar seine eigenen Bilder neu.
Auch mit Fotografien verschiedener Fotokünstler arbeitet er seit Neuestem, zieht diese Fotografien auf Leinwand auf, um sie anschließend zu bemalen. Wobei Bemalen dem Vorgang nicht gerecht wird. Es ist eher ein dezentes Eingreifen mit einem Pinsel, Klarlack oder der Sprühdose, um dem ursprünglichen Werk keinesfalls seine Gestalt oder Ordnung zu nehmen.
Dass es Dörner oft in seiner Kunst um das Spielerische geht und um Humor, beweist er mit einer solchen bemalten Fotografie: Er selbst befindet sich auf diesem Bild , es ist eine Gegenlichtaufnahme, irgendwo an einem Meer oder einem See. Dörner scheint mitten im Wasser zu stehen und mit in die Luft gerecktem Kopf den naheliegenden Berg anzurufen. Der Maler komplettiert das eigene Porträt, indem er eine feine orange Linie appliziert, die seinen Körper von unten kommend berührt, ihn mit dem Wasser verbindet und so den Eindruck
des wasserwandelnden Messias verstärkt- ein gut gemachter Witz. Die eingangs beschriebene Werkstatt bezog Dörner 2012. Seitdem malt und arbeitet er in der ehemaligen geräumigen Großküche der Gaststätte, einem wunderbaren Ort, um kreativ zu sein, wie er findet. Das ganze Geschoss seiner Werkstatt ist übrigens mit einem dunklen, engen Verlies unterkellert, in dem es einen Raum gibt, der eine ideale Location für einen Horrorfilm abgäbe: lichtlos, schalldicht, modrig. Aus diesem Raum, wie aus dem Verlies insgesamt, gibt es zum Glück eine Treppe, die ins Freie führt. Auch aus Dörners Bildern führt eine imaginäre Treppe, zurück aus der Fantasie, hinein ins Leben, das am Ende des Tages mit einer Flasche des von ihm so geliebten rheinhessischen Weißweins umso genießbarer wird.
Christoph Brandl, Berlin, Mai 2012
Unmittelbar nach Kriegsende geboren arbeitet er seit dem Deutschen Herbst als freier Künstler. Sein Werk ist eine Befreiung. Die Schöpfungskraft eines Schlossers und die Filigranität des Zahntechnikers kombiniert der Künstler, der mit Stahlarbeiten begann, den wir in Frankfurt aber als Maler vorstellen. Diese beiden Ausbildungen hat er natürlich lange weit hinter sich gelassen, aber sie können als Grundierung seines Oeuvres durchaus Anhaltspunkte geben: Sie erzählen uns etwas über die Akribie und Genauigkeit eines Schöpfers, der Intuition und Imagination auf das Handwerk aufgesetzt hat. Seine Bilder sind kraftvoll und zart, sie sind eine beglückende Kombination aus planvoller Komposition und affekthaftem Strich.
ln der Abstraktion schafft der Maler Bilder, die im Subtext immer davon erzählen, was ihn als Künstler und eben auch uns als Menschen beschäftigt. Das sind Naturthemen, historische Begebenheiten, assoziierte Gedankengebäude. Seine immer wieder in die Bilder eingewobenen universellen Zeichen lassen sich nicht eindeutig lesen, bergen aber in der Vieldeutigkeit stimmige Vorlagen für unsere eigene Fantasie. Im besten Sinne und dabei gänzlich unangestrengt handelt es sich hier um intellektuelle Kunst, denn es scheinen im Werk immer wieder Themen auf, die den denkenden Menschen beschäftigen: Herkunft, Schicksal, Sinn und Transzendenz. Weil bei Dörner immer auch Zweifel, Witz und Ironie zur tieferen Bedeutung hinzukommen, wahren die Bildertrotz Inhaltsschwere eine Leichtigkeit, die selten ist im Kunstbetrieb.
Dörner zählt zu dem seltenen Typus des Künstlers, der Werke erschafft, die stärker werden, je länger man sie betrachtet, ja die weiter über sich hinausscheinen, als es der Künstler im Schaffensakt anlegen konnte. Seine Bilder machen sich im besten Sinne selbstständig und werden ein Partner im Zwiegespräch mit dem Betrachter. Das Werk von Manfred Dörner changiert zwischen Poesie und Traktat, zwischen Sentiment und Gedanke. Und dabei mit einer Materialvielfalt, Farbvariation und Kompositionsgabe, die ihresgleichen sucht. Mit dem Mittel der Kunst erreicht er Ergebnisse, die mit Worten nicht zu fassen sind. Deshalb ist die Betrachtung seiner Arbeiten auch so ungeheuer befriedigend. Mit dieser Kunst lässt sich trefflich leben!
Florian Koch, Kurator am Frankfurter KunstBlock, Mai 2012
Die Kunst – ein ernstes Spiel
Die Kunst mag ein Spiel sein, aber sie ist ein ernstes Spiel. Dieser Aphorismus Caspar Davıd Friedrichs kann wie ein Motto über dem Werk Manfred Dorners stehen. Außerhalb der Vernünftigkeit des praktischen Lebens, jenseits des Bereichs von Nutzen und Notdurft etabliert das Herstellen von Kunstwerken eine bestimmte Qualität des Handelns aus eigenem Recht. Manfred Dorners Weg zum Künstlertum weist auf diesen Zusammenhang hin. Nach einer Lehre als Kunstschlosser und einer zweiten als Zahntechniker bricht er in den siebziger Jahren getragen vom Aufbruchsgeist der Zeit, aus den Zwängen des Berufslebens aus. jene Notwendigkeiten hinter sich lassend, die die Motorik der Handarbeit einer instrumentalen Bestimmung unterwerfen. Kunst machen bedeutet für Manfred Dörner von Anfang an das Risiko, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.
In Zukunft möchte er seine Fingerfertigkeit nicht länger in den Dienst einer von außen vorgegebenen Pflicht nehmen lassen. Er will sie vielmehr dazu nutzen, seiner Kreativität und Phantasie zum Ausdruck zu verhelfen. Wie das Spiel, so tritt auch die Kunst als eine Form der Aktivität, als sinnvolle Form und als soziale Aktivität auf. Künstler zu sein bedeutet damit jeden Tag aufs Neue den so entschlossen wie staunend unternommenen Versuch, ein anderes Leben zu führen. Bedeutet, eine Sphäre zu schaffen, in der der Künstler sich selbst die Regeln ausdenkt, nach denen ihre Gestaltung vonstatten geht. Bedeutet Spielen bei vollem Einsatz der Existenz.
Auch der Künstler hat seinen Alltag
Um was es dabei geht? Um Emotion, um Empfindung, um Sensibilität. Um jene Spannung psychischer Energien, die der Motor allen menschlichen Tuns sind und deren Kräfte im
Widerstand des Alltags sich immerzu erschöpfen. Und die ohne ihr Alltäglichwerden nicht jene Stetigkeit erlangen können, die sie benötigen, um sich immer wieder zu regenerieren. Auch der Künstler hat seinen Alltag. Und er hat sein Material. Begonnen hat Dörner als Metallbildhauer. Mit Assemblagen von T-Trägern und Blechen reüssierte er bei Galerien und Sammlern.
Der Wechsel des Mediums von der Stahlskulptur zur Malerei, wie ihn Dörner Anfang der neunziger Jahre konsequent vornahm und der mit seinem Wechsel von Freiburg nach Berlin zusammenfiel, mag Enttäuschung bei jenen ausgelöst haben, die sich auf eine
bewährte und eingeführte Bildhauermarke verlassen wollten. Doch die unbedingte Haltung Dörners schließt eine solche Festlegung aus. Der grundlegende Ansatz des suchenden Experiments, die Konzeption der Kunst als Selbstausdruck des
Künstlers, lässt keine Bindung an ein künstlerisches Medium, keine exklusive Verpflichtung auf ein Material zu. Es spricht für die Regenerationsfähigkeit der ästhetischen Energien Dörners, sich Farbe und Leinwand als künstlerisches Material völlig neu erobert zu haben.
Für ihn zählt nicht allein die eigentliche Arbeit am Bild, vielmehr stellt sich der Produktionsprozess als ein Ganzes dar, als die spielerische Suche und Auswahl von Materialien, als die Aktivität ihrer Gestaltung, als das Wirkenlassen des Entstandenen bis hin zum Arrangement der Präsentation oder dem des Verkaufs. Jeder Tag ist ein Neubeginn, jeder Tag beginnt mit einer Suche.
War
Dörner in früheren Jahren auf der Suche nach Metallteilen auf Schrottplätzen, so ist er heute auf der Suche nach Leinwänden und Farbtöpfen in Baumärkten und Läden für Künstler- und Zeichenbedarf. Im Streifzug durch solche Magazine, den er jeden
Tag aufs Neue ohne jeden festen Vorsatz unternimmt, inszeniert er den Kauf von Materialien als intuitive Begegnung. Zurück im Atelier legt er die erworbene Leinwand auf den Boden und beginnt ohne viel Federlesens, sie mit Farbe zu bestreichen. Dabei
trägt er die Öllackfarbe mit der Rolle in mehreren Schichten übereinander auf. Die Streifenform dieses Auftrags in Bahnen nutzt er zugleich als ein wesentliches Gliederungselement der Bildfläche. Ein anderes Gliederungselement sind rechteckige
Felder, die er oftmals durch das Abziehen der Ölfarbe mit Zeitungsblättern erlangt. Das Zeitungspapier wird dazu auf die noch frische Farbe gelegt und wieder fortgenommen. Das betreffende Farbfeld ist nun durch eine Binnenzeichnung strukturiert, die sich zum einen durch die Knitter und Faltungen der Zeitungsseiten ergibt, zum andern durch tonale Abstufungen als Resultat der vom angedrückten Papier unterschiedlich aufgenommenen Farbmengen.
Im Übereinanderlegen der Farbschichten und im Überstreichen der verschiedenen Farbbahnen und -felder ergibt sich so eine spannungsvolle farbliche Textur. Interessant ist dabei, dass Dörner seine Gemälde ganz konsequent aus der Zweidimensionalität der Fläche erarbeitet. Dies sowohl im Hinblick auf die Bild- und Farbräumlichkeit als auch im Hinblick auf die Gestaltung der konkreten Bildoberfläche. Wie die monochrome Abstraktion sich jede Zeichenhaftigkeit versagt und Räumlichkeit nur aus dem Übereinanderlegen der Farbschichten und den Raumqualitäten der Farbe selbst gewinnt, so wird die Bildoberfläche nicht durch Fraktur, stehengelassene Farbpaste oder die Aufbringungen anderer Materialien zu einem Relief dimensioniert. Wenn einzelne Bildoberflächen so etwas wie die Eigenart einer Patina aufweisen, so ist diese doch mehr eine gemalte, als eine durch Materialmanipulatíon Simulierte. Und haben auch einzelne Farbschlieren erhabenen Charakter, so sind die Oberflächen von Dörners Bildern letztlich abgeschlossene, glatte Flächen, oftmals nochdurch einen Klarlacküberzug versiegelt. Was das heißt? Die Oberfläche des Bildes möchte zuallererst eine Gemalte sein, der Maler zielt auf Bildwirkung, auf die malerische Organisation der bildlichen Repräsentation von Farbe. Das Resultat sind Bilder, die ganz auf den Eigenwert ihrer Farben, den Glanz der Lacke, die Intensität der malerischen Verdichtung setzen.
Intuition und Zufall
Doch man täusche sich nicht. Dörner arbeitet in keiner Weise derakribischen Perfektion eines ästhetischen Kalküls zu. Im Gegenteil. Die Erscheinung seiner Bilder verdankt sich vielmehr einem offenen Werkprozess der Intuition und Zufall in den Mittelpunkt stellt. Dazu kommt, dass er ganz aus der energetischen Bewegung des Körpers konzipiert ist. Schaffen bedeutet für Dörner ganz buchstäblich körperliche Arbeit, Bewegung. Sein Atelier ist ungeheizt. Nur die Aktivität des sich darin bewegenden Künstlers erwärmt es. In der Nachfolge Jackson Pollocks umkreist Dörner seine am Boden liegenden Leinwände. Unruhig wie er ist, traktiert er sie mit Farbe, unternimmt plötzliche Ausfälle mit der Malerrolle, setzt in schnellen Aktionen einzelne Akzente. Das Fertigwerden eines Bildes kann Dörner kaum abwarten. Jeden Impuls möchte er am liebsten sofort umsetzen. Im Umgang mit der Ölfarbe musste er sich selbst ein Minimum an Geduld beibringen, um das Trocken abzuwarten, bevor die nächste Farbbahn aufzutragen ist. Wenn er nicht das Hineinmalen in die noch feuchte Farbe gleich selbst wieder zur formalen Gestaltung nutzt. Das ist die eine, die energetisch-aktivistische Seite Dörners. Seine andere Seite liegt im Bereich rezeptiven Innehaltens, dem der Kontemplation. lm Atelier steht erhöht auf einer Lagerpalette ein alter Stuhl. Eine Art Regiestuhl, auf dem sich der Maler immer wieder niederlässt, um zu betrachten, was er gemacht hat. Von hier aus prüft er das Gewordene, schafft sich selbst einen Standpunkt der Distanz, findet zu Momenten innerer Sammlung, die dann in weiteren Malakten transformiert und in die Gestaltung der farbigen Materie übertragen werden. Der Künstler ist so der erste Rezipient seiner selbst, ein Selbstbetrachter, der für sich und seine visuellen, seine inneren Erlebnisse malt.
Dörner gestaltet somit das Bildermalen als ein Zusammenspiel von Ausdruck und Eindruck. Als das Ergebnis eines Aktes körperlicher und seelischer Spannungen, die er bei sich freizulegen sucht, pflegt und umhegt, und die ihre Aufladungen von überall her nehmen können, von jedem noch so kleinen Erlebnis, sei es künstlerischer oder anderer Art. Die Schutz verlangen gegen jede Form der Abstumpfung. Er kultiviert damit das Reiz- potential seiner Psyche, möchte Empfindlichkeit als einen währenden Zustand erreichen. Selbst ein Resonanzkörper zu sein, ein Relais von Kräften, das ist das Ziel. Und es ist Dörner in seiner vibrierenden Sensibilität längst zum konkreten Habitus seiner Person geworden. Das Sichtreibenlassen, die vorsätzliche Provokation des Zufalls einerseits und die umstandslose und gezielte Aktion andererseits machen in ihrem Zusammenspiel den besonderen Charakter der Kunstwerke Dörners aus. Was damit relativ einfachen Mitteln und wenig komplizierten Verfahren in der handwerklichen Atmosphäre der Atelierwerkstatt entsteht, ist eine Bilderwelt von großer farbiger Poesie, deren Strukturen bei aller Rauheit dem Zarten verpflichtet sind.
Im Format tendiert Dörner zur Größe. Alle ambitiöse Umständlichkeit, alles kleinteilige Gepussel ist ihm fremd. Irgendwann in den achtziger Jahren, als er mit der Malerei zu experimentieren anfing, hatten ihm die Umstände ein paar recht kleine Leinwände in die Hände gespielt. Als einzelne Bildchen erschienen sie ihm zu mickrig und so nagelte er sie kurzerhand zusammen. Dieses Prinzip der Zusammenstellung von Bildtafeln zu einem größeren Rechteck hat er bis heute beibehalten. Die vorher einzeln bemalten Teile werden dann hin und wieder mittels einem die Binnengrenzen überschreitenden Farbstreifen zusammengefaßt. Durch Kombinationen neue Bildwirkungen zu entdecken, bezeichnet einen konzeptionellen Kern der Malerei von Dörner. Nicht das einzelne Werk als solches, als festgelegte und statische Größe interessiert ihn, sondern das Potential an Wandlungen und Möglichkeiten, das malerischen Strukturen innewohnen kann.Er verhilft der Aussagekraft von Bildern dadurch zur Existenz, indem er ihnen Begegnungen mit verwandten Bildern verschafft.
Bilder ohne Titel
Die in spielerisch geprobten Zusammensetzungen veränderten Bildkontexte verändern die Bilder selbst, verändern ihre Wahrnehmung. Daß Dörner solche Zusammenstellungen nicht nur unmittelbar und direkt aneinander anschließen lässt, sondern zunehmend auch separate Tafeln als Paare, Zwillinge oder Pendants behandelt, liegt in der Konsequenz einer solchen Konzeption. Ohne Titel aber kommt eine Kunst aus, die durch das scheinbare Paradox ihrer Gegensätze sich konstituiert. Gegensätzen wie demonstrative Handwerklichkeit und höchste dekorative Finesse, gewollte Einfachheit und Suche nach subtilen Effekten, zupackender Gestus und meditative Versunkenheit. Wenn die großen Formate und auch die Vorliebe für starke Farben wie das signalhaft leuchtende Rot ihre Suche nach starken Wirkungen bezeugen, dann schließt das andere, sperrigere Farben genauso wenig aus wie jene Wirkungen, die sich wie nebenbei und unabsichtlich in der ästhetischen Textur der Bilder ergeben. Texturen, die selbst Ausdruck jenes „Hineinsehens“ sind, von dem einst schon Leonardo angesichts eines Gemäuers gesprochen hat, an dessen fleckiger Oberflächenbeschaffenheit sich die gesamte Imagination des Malers entzünden kann. Indem Manfred Dörner subjektiven Ausdruck als lebendigen Prozess konzipiert, der seinen Niederschlag in der farbigen Form seiner Bilder findet, setzt er auf die Autonomie der künstlerischen Einbildungskraft, setzt er auf Bildwirkungen als offene Dialoge. Das darf man getrost als ein romantisches Unterfangen bezeichnen. Einer Romantik von der Art, die die konsequente Abstraktion von aller Konkretheit nur mehr als das Wagnis eines Individuums möglich macht. Und die sich auf dem schmalen Pfad zwischen Geist und Dekor ihren Weg sucht. Ganz ernst, ganz spielerisch.
Gregor Wedekind
Lernte ich über einen Bekannten, bei dem ich Fließen erwarb, kennen. In seinem Showroom stand eine Arbeit von Manfred Dörner, die mich sehr fasiniert. Es war ein Stahlträger, der an drei Stellen im oberen Bereich angeschnitten, gekippt und verdreht war. Siehe Abbildung o.T. – 1992
Ich besuchte Manfred in sein Atelier und war von ihm und seinen Arbeiten, sehr angetan. Vor allen hat es mir der der kraftvolle Ausdruck und wieder die Materialitäten und Ihrer Unterschiedlichkeiten der Arbeiten angetan, was auch ein Schwerpunkt der Sammlung ist. Siehe z. B. Raffael Rheinsberg, Paul Pfarr oder Martin Rasp.
Ich lud ihn und zwei seiner Arbeiten aufs Land ein.
Es blieb nicht beiden den zwei Werken, sondern ich erwarb noch weitere Arbeiten, bei diversen Atelier besuchen.