Geb. am 8. 1. 1946 in Zittau, verstorben 4. Mai 2016
Rückkehr 1952 in die Schweiz
Seit 1968 freischaffender Künstler
1978/79 Aufenthalt in New York
1981 – 1993 abwechselnd in Berlin und Betschwanden (CH).
Lebte in Berlin und in der Schweiz
„Das Schweigen. vom Schweigen zu sprechen, bevor man wieder darin eingeht, bin ich schon darin gewesen, ich weiß nicht, jeden Moment bin ich darin, jeden Moment tauche ich daraus auf, ( … ) ich verstehe nichts von der Dauer, ( … )ich sage nie und immer, ich spreche von den Jahreszeiten und von den verschiedenen Teilen des Tages und der Nacht, ( … ) die Jahreszeiten müssen sich darin gleichen, es ist vielleicht Frühling nun, dies sind Worte. ( … ) welche sonderbare Wärme plötzlich, es waren Wortlisten, ich habe sie vergessen müssen. ich habe sie verwechseln müssen. diese namenlosen Bilder, die ich habe, diese bilderlosen Namen, diese Fenster .. . und dieses Wort Mensch, ( … ) wie soll man sie darstellen ( … ) hier. im Schwarzen, ich nenne es das Schwarze. es ist vielleicht das Himmelblaue … “
So räsoniert der Namenlose im gleichnamigen Roman von Samuel Beckett. Ob der Maler Jürgen Zumbrunnen ähnlich räsoniert, ist Vermutung und zunächst nicht von Belang. Von Belang ist, dass wir es mit Bildern zu tun haben und dass Bilder betrachtet werden müssen. Im Katalog, den Sie in Händen halten, oder an den Sie umgebenden Wänden, Bilder müssen betrachtet werden. Ach ja? Wo ist das Müssen? Antwort: Das
Müssen resultiert aus unserem ununterdrückbaren Bedürfnis nach Trost. Das selten genug befriedigt wird.
Haben Zumbrunnens Werke die Gabe zu trösten? Vom Triptychon über die Landschaft übers Stillleben übers Genrebild bis zum allegorischen Kammerstück, sein ikonographisches Repertoire legt die Vermutung nahe. Denn, zurück zu Beckett: mit dem Schweigen scheint er sich auszukennen. Seine Figuren: in ihrem Daseinmüssen wie gefroren. Mal statuarisch, als seien sie eine gotisch überdehnte Floskel ihrer selbst. gänzlich im allegorischen Bild-Dienst, mal in fast turbulenter Bewegung; sieht man jedoch genau hin, verbindet alle eins: allesamt schweigen sie. Haben allesamt auszuharren, dass einem ein Wort wie Demut in den Sinn kommt. Demut, weil wir begreifen, dass und auf welcheArt sie uns vordergründige Emotionen vorenthalten. Als seien sie zu wohlerzogen, zu höflich. Daher der Bezug zum Gotischen, daher jegliches Fehlen barocker Freude in Mimik oder Gestik. Zumbrunnens Credo ist Disziplin. Denn wie der Namenlose weiß er um die Gefahr, im Schweigen unterzugehen, nicht mehr aufzutauchen, denn von „Dauer“ versteht auch Zumbrunnen nichts. Was Dauer ist, wissen nur Toren.
Becketts Namenloser musste seine Wortlisten vergessen, seine Wortlisten viel verwechselt werden – beherrscht Zumbrunnen nicht durch Disziplin, sondern schlafwandlerisch: Glaubt man zunächst, ein Gruppenbild, ein Seestück mit Boot, ein Interieur oder Schneewittchen mit den sieben Zwergen vor sich zu haben, wird einem, ein Vertiefen ins Bild vorausgesetzt. bald deutlich: Immer ist es ein Stillleben und nichts als ein Stilleben. Diese Bilderverwechslung ist Zumbrunnens und unsere Rettung: die Menschen. ihr .wie soll man sie darstellen“, nicht „im Schwarzen“, sondern mit dem, nennen wir es den Stilllebentrick, Himmelblau zu verwechseln. Das Bild „Shanghai Dreams II I“ ist exemplarisch: trotzfarbiger Gemütlichkeit wird dem Auge schnell schauerlich kalt aber eine Dixsche Eindeutigkeit (um beispielshalber wenigstens einen Verweis zu bemühen), wo Gut und Böse zu orten sind, bleibt uns verwehrt. Was oder wer das Fiasko, das Chaos im Boudoir verursachte, dürfen wir mutmaßen; schuldig scheinen sie alle, und keiner von ihnen – außer dem Strauß in der umgestürzten Vase – löst Mitleid in uns aus. Daher Stillleben: was immer zu Sehen ist. ist wertfrei. Die Frau mit ihrer schrecklich ambivalenten Geste ebenso wertfrei wie die Uniformierten, ob feige hinterm Paravent oder Schlagstocksadist oder zu einem Opferhäufchen zusammengesackt. Selbst der Hubschrauber hinterm Panoramafenster vermag uns keinen Schrecken mehr einzujagen.
Uns nicht und Zumbrunnen nicht und Becketts Namenlosem nicht: „… es wird das Schweigen sein, da wo ich bin, ich werde es nie wissen, im Schweigen weiß man nicht, man muss weitermachen, ich werde weitermachen.“
Berlin, im April 2011
Bildstörung und Schaulust
Zum Schaffen von Jürgen Zumbrunnen
Das Glücksversprechen, des Malerei einst aus dem Rom der Mythen in den Raum der Geschichte projizierte, dieser Schein des Schönen ist unwiederbringlich oder hat sich längst zu gefälligen Surrogaten drapiert. Zumbrunnens Schaffen sucht die Auseinandersetzung mit Traditionen von Malerei in vielfacher Hinsicht.
Man könnte Themen und Konstellationen wie Akte, Paare, Interieurs, Fensterblicke in Bezug.sleldern der symbolistischen oder expressiven Malerei ausmachen. Man könnte auf Künstler verweisen wie Bonnord, Hodler, Munch, Beckmann, Schiele bis hin zu Bolthus und lucion Freud. Sein Einsatz der Farben ließe auf Einflüsse der Spätimpressionisten, auf Meister wie Degas, Monet und Matisse schliessen. Und bestimmte Attribute seiner Bildräume ob Spiegel, Schädel oder Gold deuten zurück auf zentrale Vorstellungen barocker Allegorie.
Doch geh1 es in Zumbrunnens Malerei weder um eine Fortschreibung der klassischen Illusionsästhetik, noch um eine konventionelle, subetorientierte Lektüre, eher um ihre Dekonstruktion, um Überlagerungen und Einblendungen von Bild- und Blockstörungen aus der Perspektive filmischer wie elektronischer Wahrnehmung.
»Arn Kreuzpüunkt von Lust und Schmerz; entsteht Erkenntnis. „Dieser Satz von Joseph Beuys charakterisiert in weiten Passagen auch die existentielle wie künstlerische Haltung Jürgen Zumbrunnens. In der Überkreuzung von Eros und Tod erscheinen die Figuren und Paare seiner Bildräume in obsessiven Verstrickungen von Verlangen und Vergeblichkeit, von Triumph und Ohnmacht. Die Umarmung der Paare, die Nähe der Körper, der Kampf und Kampf der Geschlechler relativiert sich meist in doppelbödigen Setzungen, im ironischen und selbstironischem Blick des Malers. Abstürze scheinen unvermeidlich, als gelte es, die Augenblicke des Glückes erträglich zu hallen.
Eros und Sterblichleit, die janusköpfigen Pole in seiner Ikonographie zeigen sich etwa in Gemälden wie „Ende eines Mythos“, „Mutter und Kind“ oder der „Hellen Jacke“ mit blauen Mustern und goldener Kugel, die in der dunklen Jacke mit dem halbverborgenen Schädel ihr makabres Gegenstück findet.
ln seine Poardorslellungen beobachtet man oft Umkehrungen des sozialen und psychischen Rollenspieles der Geschlechter. Die männlichen Protogonisten sind selten handelnde, aktive oder machthafte Figuren. Sie verharren eher in verhaltener Pose, zeigen nachdenkliche, versunkene Gesichtszüge, sind einsame, ihrer Melancholie verfangenen Gestalten.
Der Schädel des Mannes ist nackt, der Bilck noch innen gekehrt wie etwa im grossen „Interieur“ von 1996, dessen hell-dunkel Passagen Möbel, Wänden umfasst und die Figuren mit dem Raum verbindet.
Da ist der schwarz gekleidete Stehende, der Kopf gesenkt, das Gesicht tief in den Hut verborgen. Mehr dem seitlichen Paravont zeigte sich zugewandt als der reizenden Verführerin mit der Weltkugel, die ihn mit tänzerischen Stoss aus seiner Selbstversunkenheit zu locken sucht.
Andere Gemälde erscheinen als allegorische Reflexionen der Künstlerexistenz. Wie ein schützendes Schild hält der Maler seine Palette empor. Aus der Mitte ragen zwei starke Pinsel mit roten Köpfen. Man könnte auch sogen, die einzigen Waffen, die einzigen Organe, die der torsoartigen Gestalt hinter der Palette bleiben, sind die beiden Pinsel als sehende Hand, als tastendes Auge. Joch der vermeintliche Schutz des Malers, seine Antennen zur Welt, kehren sich im nächtlichen, alptraumartigen Bildnis des violetten Mannes zur Selbstzerstörung.
Die Palette mutiert zur bedrohlichen Molluske, die beiden Pinsel zu knochenartigen Klöppeln, die auf Mund und Herz des in Dunkelheit verharrenden Mannes zielen. Das Werk fordert sein Tribut, der Maler ist das erste Opfer, Bilder vom Selbst, die Lebensängste, schöpferische Krisen thematisieren, Bilder vom Maler, die von narzistischer Selbstgewissheit zur Forderung noch radikaler Hingabe kippen.
Doch entscheidender noch für sein neueres Schaffen ist die Klärung seiner bildnerischen Mittel in Abkehr vom neoexpressiven, heftigen Duktus der 80er Jahre. ln einem Brief schreibt der Künstler:
„Im Grunde ist es eine Rückkehr zum eher Stilen, zum Intimen. Trotzdem glaube ich, dass es nicht nur Zurücknahme isl, sondem in Vielem eine Synthese vergangener Entwicklungen. Es geht mir keineswegs um einen Realismus á la Lucion Freud ( ... } Man kann das ‚Künstliche‚ und das ‚Reale‘ nicht auseinanderhalten.
Bei genauerer Betrachtung sind die Interieurs, um die es sich handelt, Konstruktionen, die Räume, Situationen, Stimmungen erzeugen. Jedes Bild hat eine andere Farbrechnung . Obwohl alle Farben im Bild auftauchen, ist fast immer eine Farbe, ein Grundton herausgehoben, dem die anderen Farben nur sekundieren.
Man könnte sagen, dass der illusionistische Einsatz der Farbe radikal zurückgenommen wurde zugunsten einer suggestiven, piktualen Auffassung, kontrastierend mit seinem Gegenton legt sich der jeweilig dominierend~ farbwerlos athmosphörischer Filter, als emotional gefärbte Klimaschicht über den Bildraum, durchtränkt Flächen, Formen, Sujets.
Die Bilder der letzten Jahre sind fast ausnahmslos Intérieurs, Räume der Privatheit und Initimität, die sich dem Betrachter darbieten und zugleich entziehen. Es sind Bilder on Räume oder Ausschnitte von Räumen, die Wohnzimmer sein können oder Ateliers, eine Palette am Boden eine umgestürzte Skulptur andeutend. Der Raum ist weder offene Bühne, auf der sich die Figuren inszenieren, noch ein Zimmer, das einer eindeutigen architektonischen Ordnung angehört. Es sind eher aperspektivische Darstellungen, deren Raumsuggestion aus der Staffelung von lichten und dunklen Farbwerten resultiert, insbesondere mittels verstellter Durchblicke wie Vorhänge, Jalousien, Fensterrahmen, Paravents, Türflächen, Zimmerpflanzen.
Vergleichbar ist die Situation des Betrachten vor der Leinwand, die ihm ebenso zur Raumschranke, zur Sichtblende gerät. Figur und Betrachter erahnen sich in der gemeinsamen Falle des Sehens und Gesehenwerdens. Im alten Spiel von Verhüllung und Entblössung erweisen sich Sichtverhinderung und Blickverstellung nicht nur als Pointierung einer voyeuristischen Situation. Sie belassen zugleich den Figuren Teil ihres Geheimnisses, ihres Tabus. Akte der Sabotage in einer Zeit grenzenloser Verfügbarkeit des Visuellen.
Dass Blicke bannen, böse sind, dass der Blickende Macht gewinnt über das Angeschaute, diese alte magische Erfahrung mutiert in manchen Werken Zumbrunnens zur televisionären Überwachung. Der Bildschirm ist beides – narkotisierender Nabel zur Aussenwelt und allgegenwärtiger Beobachter seiner Betrachter.
Das Anschneiden der Körper, ihrer Gesichter zumeist, erfolgt aus der gleichen Überkreuzung von Präsentation und Verweigerung im Spiel der Blicke und des Erblicktwerden. Manchmal werden die im Bildraum Angeschauten selbst zu heimlichen oder unheimlichen Beobachtern wie im „Dunklen Interieur“ von 199Vergleichbares lässt sich von einer rosaroten Landschaft sagen, die eine Fensterblick von innen nach aussen thematisiert. Halb vom Vorhang verdeckt, glaubt man, am Tisch des auf der Veranda einen kohlköpfigen Mann zu erkennen. lm schmalen Spalt zwischen Wand und Vorhang ist noch eine halbversteckte Gestalt mit übergrossen Augen den Betrachter des Bildes anblickt. Bei genauem Hinsehen kippt die Wahrnehmung, und es bleibt ungewiss, welcher Art Spezies die dunklen Gestalten zuzurechnen sind. Und zudem kommen doppelbödige Lesearten ins Spiel, wenn man den Werktitel „Seeblick“ auch phonetisch erfasst.
Zumbrunnens „Intime Räume“ stellen sich in der Geschichte des Sehens letztlich als subversive Paraphrosen der „Camaro Obscura“ dar, die seit dem 18. Jahrhundert zum Modell und Apparat des zentralperspektivischen Bildes, zum Paradigma von Schaulust und Voyeurismus wurde. Im fintenreichen Umgang mit Elementen der klassischen wie mediatisierten Bildweiten, sabotiert seine Malerei den konsumistischen Blick, um Sehen und Bewusstsein hinterfragende Wahrnehmungsräume zu eröffnen. Im Taumel der Postmoderne, der zunehmenden Sinnlosigkeit zwischen Sein und Schein zu unterscheiden, ist das menschliche Subjekt dabei, in den Spiegelwelten des Virtuellen und der Reproduktion des Gleichen verabschiedet zu werden. Zumbrunnens Bildräume hoben Teil an dieser Erfahrung, sind exemplarische Antworten auf die voyeuristische Inszenierung der modernen Kultur. Man könnte sie auch als irritierende Ortungen eines Hellsichtigen beschreiben, der um die Vergeblichkeit weiss. „Versuche noch etwas vom Menschen ;zu sehen. ‚Kampf‚ um das Verschwinden. Rettung vor dem Verschwinden.•