Zwei Bilder von Sebastian Heiner
Sebastian Heiners Malerei ist impulsiv, von ekstatischem Farbklang und unmittelbarer Energie. Sucht man Analogien in der Musik, so lassen die Großformate an opulente Orchestrierungen Richard Strauss’ denken, der aufgewühlte Duktus stimmt die freie Harmonik des frühen Expressionismus’ von Igor Strawinsky an. Die Peking-Oper mit ihrem diffizilen Klangspektrum erscheint zum expressiven All-over und zur ausladenden Gestik wie ein Widerspruch.
Genau in diesem Antagonismus bewegt sich „Dream – Peking Opera“. Ein spannender Bogen zwischen der Symbolik des Reichs der Mitte und der westlich geprägten Abstraktion. In den malerischen Strukturen und Dialogen gelingt es dem Berliner Maler, der seit 2004 regelmäßig mehrere Monate des Jahres in China verbringt, die Dramaturgie der traditionellen Bühnenkunst in komplexen Bildzeichen zu verdichten.
Einzig die Andeutung einer Figur am linken Bildrand und der Schemen einer Maske lenken unsere Aufmerksamkeit auf das theatrale Moment. Aus dieser Konnotation werden die amorphen Farbschwünge zu Mimen, Tänzern und Akrobaten, evozieren die Farbkontraste die Charakteristika der Peking-Oper-Figuren: das Grün der Unbeständigkeit, das Blau der Wildheit und der Unerschrockenen oder das Gelb der Kaiser. Sie kämpfen und erheben sich auf einem bildbeherrschenden Rot, dem Symbol der loyalen und tapferen Menschen.
Vor unserem inneren Auge beginnt sich eine Szene abzuspielen. Vielleicht das Zusammentreffen der Krieger mit einem Herrscher, einer Gottheit gar, wie der Goldton der Krone vermuten lässt. Doch durch den abstrakten und dynamischen Gestus wird die Szenerie nicht zum statuarischen Abbild, sondern spult in Form einer Filmsequenz weiter, in der unsere Phantasie eigene Geschichten entwerfen kann.
In „Dragon Cloud“ verbindet Sebastian Heiner die Symbolsprache der verschiedenen Kulturen zum eindrucksvollen Natur-Schauspiel. Von außerhalb des Bildraums kommend, steigt das Epizentrum aus dem linken unteren Drittel auf. Ein Rudiment erhebt sich: eine Figur, ein Flugwesen, eine Kalligraphie?
Das dunkel leuchtende Blau erinnert an die blaue Blume der Romantik oder aber (ganz unromantisch) an das Wilde und Gefahrvolle, welches das Blau in der chinesischen Kultur symbolisiert. Mit roten und grünen Akzenten, mit weißen Kammzügen, die lichte Wogen in das Geschehen bringen, bäumt sich das blau gestimmte Farbgewitter auf.
Die vielfach überlagerten Schichten wirken kaum noch von Künstlerhand gemacht, sondern eruptiv und wie von den Kräften der Natur selbst erzeugt. „Wer auf dem Kopf geht, hat den Himmel als Abgrund unter sich“, heißt es in Paul Celans „Der Meridian“.
In den Valeurs und im Wechsel von opaker und filigraner Faktur gleicht der Himmel einer schweren Sturmfront. Ob wir darin auf dem Kopf oder auf den Füßen gehen, ihn als Abgrund oder als Gipfel betrachten, bleibt unserer Imagination überlassen; ebenso wo und ob wir den Titel gebenden Drachen in diesem Wolkenmassiv ausmachen.
Es ist Heiners originäre Dynamik, mit der der Künstler die Farben zum Sprechen bringt, und die das Ungestüme des Fabelwesens erweckt. Mit den verschachtelten und verschlungenen Bewegungen – der Pinselschwünge wie auch der Farbnuancierungen – befinden wir uns im Inneren des Wolkengetiers – im Auge des Kyklopen.
Doch über die körperlich-kraftvollen Gesten spannen sich feine Gewebe – wie Myriaden von Regentropfen im Spiel des Lichts, wie feine Spiralnebel oder Zirrus-Wolken. Der Drache breitet seine Flügel aus und bietet uns Schutz auf der Reise durch die bewegten Himmel. In der chinesischen Mythologie bedeutet die Wolke Glück.
Michaela Nolte
Berlin, September 2009